„Ganz schön mutig!“, das waren viele Kommentare in meinem Bekanntenkreis nicht nur zu meinem späteren Werdegang als deutsche Architektin in Spanien, sondern bereits als ich mitteilte, dass ich im fortgeschrittenen Alter während meiner Berufstätigkeit als Designerin noch einmal anfangen würde mit einem Studium. Architektur. Mir selbst war auch nicht so ganz klar, wie sich das auf die Dauer gestalteten würde. Meine Kommilitonen und Kommilitoninnen hätten ja allesamt meine Kinder sein können. „Je öller, je döller.“ warf mir dann auch eine 20jährige hin, als ich ihr Pool-Liegen-Handtuch-Reservierungsgehabe für sie selbst und ihre drei Kolleginnen im Hörsaal ignorierte und mich mit der Nonchalance der älteren Brillenträgerin zur rechten Zeit in passender Distanz zum Dozentenpult niederliess.

Recht hatte sie! Aber nein, nicht tollkühn und mutig fand ich das. Jedoch ein Studium, das mir auf dem Silbertablett serviert worden war, einfach so abzulehnen, das hätte ich mutig gefunden.

alte Zementfliese
alte Zementfliese, Dorfhaus Felanitx

Ganz schön mutig…

„Ganz schön mutig!“ kam die Ansage aus dem Freundeskreis, als ich mit dem mir liebsten Menschen aufbrach in eine neue Heimat auf einem Eiland mitten im Meer. In Spanien. Mallorca, Hauptinsel der Balearen. Nicht mutig, sondern vertrauensvoll war ich.

Als deutsche Architektin in Spanien, in einem traditionellen Männerberuf – sicher war das nicht einfach zu handhaben. „Macholand“ aus Tradition, ein Klischee, dessen man sich in Mitteleuropa gerne bedient.

„Ganz schön mutig!“ klang nicht mehr an, als ich nach einigen Jahren Arbeit in einem mallorquinischen Architekturbüro feststellte, dass ich dort keine Zukunft (mehr) hatte und notgedrungen beschloss, mich selbständig zu machen. Obwohl ich selbst das tatsächlich mutig fand.

forasteros und extranjeros

Treppe in Dorfhaus in Felanitx

Eine Insellage fördert im allgemeinen die Abgrenzung nach außen, festigt althergebrachte Verhaltensweisen und Rituale und macht nicht unbedingt aufgeschlossen für Zuwanderer. Zumal die Inseln im Mittelmeer, vor allem die, die Jahrhunderte lang von strategischem Interesse gewesen waren, immer wieder Invasion und Besatzung erlebt und sich daher durch Abschottung zu schützen gelernt hatten.

„Schauen wir erst einmal, was uns die Neulinge zu bieten haben, dann sehen wir weiter.“ Eine verbreitete Verhaltensweise. Die auch heute noch spürbar ist den forasteros und extranjeros gegenüber, den so fremden Festlandspaniern und den Ausländern.

Mein erster Kunde beauftragte mich, weil er eine umfassende Baubetreuung für seinen von mir entworfenen Neubau brauchte. Er lebte in Deutschland und konnte nicht viel vor Ort sein. Da war meine Beratung als deutsche Architektin in Spanien willkommen, die zudem Hilfestellung leisten konnte in den örtlichen Ämtern und Behörden. Aufklärung über „was geht“ und „was geht nicht“ lag an. Und das nicht nur was Planung, Baudetails und Materialien betraf, sondern auch sinnvolle Vorgehensweise im Umgang mit Technikern und Dienstleistern, Beamten, Nachbarn. Basic now-how in allen anfallenden Situationen, denen sich nicht ansässige Bauherren plötzlich ausgesetzt sehen. Ein paar, wenn auch längere Ferienaufenthalte können den entscheidenden Einblick in Leben und Arbeiten nicht liefern, sei das anfängliche Bemühen um Verständnis auch noch so groß.

Der spanische Mann

foto: pixabay

Und ich traf auf einen Bauunternehmer, der nicht Mallorquiner war, sondern Festlandspanier, was, wie ich zunächst annahm, den Härtetest für eine Architektin bedeuten konnte. Erst später lernte ich, dass dies im Hahnenkampf-Ritual praktisch keinen Unterschied macht. Mallorca oder Festland, der spanische Mann ist die Krone der Schöpfung, wie ihm das noch bis in die 90er Jahre von der Mutter über der Wiege eingeflüstert wurde.

Daran ist nicht zu rütteln. Also benimmt er sich entsprechend seines Auftrags, streckt den Rücken wie schon alle männlichen Mitglieder der Gesellschaft vor ihm und vergewissert sich noch kurz des Vorhandenseins seiner edelsten Teile, ehe er sich hinaus in den alltäglichen Kampf um Ruhm und Ehre stürzt, derweil seine Angetraute sich nach außen hin charmant hinter ihrem Fächer versteckt…. mit dem sie zuhause jedoch energisch auf den Tisch klopft und das Familienleben damit wieder zur normalen (weiblichen) Familien-Ordnung zurückbefördert.

Baurituale

So stand ich eines Tages auf dem Hügel hinter Manacor mit Blick über die Ebene mit ihren alten Steinhäusern und von niedrigen Trockenmauern umgrenzten Feldern bis zum tiefblauen Meer. Der Bauunternehmer freundlich bestimmt, die Bauarbeiter abwartend gelassen. Ich selbst angespannt erwartungsvoll. Im Rücken den begonnenen Rohbau des Hauses und zwei frühstückende Bauarbeiter. Eine heilige Handlung, die es galt zu respektieren und damit dauerhaft die Basis für ein gutes Arbeitsklima zu schaffen.

Schon beim einige Jahre zuvor abgeschlossenen Umbau meines eigenen, 200 Jahre alten Dorfhauses hatte ich mir angewöhnt, den Baurundgang zunächst mit Fragen zu beginnen. „Warum?“, „wie?“, „was?“, „womit?“ führten immer schnell zum Kernpunkt. „Warum ist diese Türöffnung nicht so breit wie im Plan eingezeichnet?“ lässt Spielraum für phantasievolle Begründungen der Arbeiter. Ein kurzer, freundlicher Satz ohne weiteren Kommentar, dann kann man zur plangerechten Regulierung schreiten.

Warum? Wie? Womit?

Eine deutsche Architektin in Spanien – Lernphase

Ein „Warum macht ihr das so?“ bot allerdings Einstieg in althergebrachte mallorquinische Bautechnik. In anderen Fällen in einen Exkurs in deutsche Baudetails. Denn vor allem schien mir wichtig, nicht den deutschen Besserwisser herauszukehren, sondern echtes Engagement der oft nur angelernten Bauarbeiter zu provozieren. Der Beruf des Maurers war bislang kein Lehrberuf in Spanien, learning by doing, aprender por experiencia war die Devise.

So verbrachte ich viel Zeit damit, den Arbeitern vor Ort Details z.B. in der Ausführung von Abdichtungen zu zeigen. Um die Motivation zu stärken und mir als deutsche Architektin in Spanien im günstigsten Fall eine „eigene“ Mannschaft heranzuziehen, lieferte ich die Begründung dazu und vergewisserte mich, dass sie verstanden hatten, worum es ging. Ich dagegen lernte von ihnen den Umgang mit Marès, dem hiesigen Sandstein, mit Kalkputz und traspol, dem einfachen, von Hand geglätteten Zementboden, wie er seit Generationen in den alten Häusern verlegt wird.

Wir lernten von einander, aufmerksam, respektvoll.

Ich hatte vor Baubeginn damit gerechnet, dass es vom einen oder anderen Mitarbeiter Vorbehalte und Zögern geben würde und den Bauunternehmer dazu befragt. „Gibt es viele weibliche Architekten auf dem Bau auf Mallorca, daß sie da so problemlos darauf einsteigen?“ „Ach nein,“ meinte er, „das ist es nicht allein. Sie sind es einfach von Zuhause gewohnt, daß die Mutter und später die Ehefrau das Sagen hat.“ Eine Diskrepanz zwischen traditioneller Erziehung also, die sich im öffentlichen Leben manifestiert und maskulin gestrickt ist und privatem Familienleben, in der ganz andere Regeln herrschen.

Umstrukturierung

Tatsächlich hat sich seit den 90er Jahren nicht nur auf den Baustellen und in der Architektur in Spanien viel verändert. Mittlerweile gibt es viele Frauen, die das Erbe der Familie verwalten. Die von den vermögenden Vätern ohne Zögern als Vorstand ihrer Firmen eingesetzt und in Aufsichtsräte berufen wurden. Eine Reihe hochrangiger, einflussreicher Posten spanischer Firmen sind derzeit weiblich besetzt, so viele wie sonst selten in Europa.

Das stärkt das Selbstbewusstsein der Frauen auch auf der Insel.

Jahrhunderte lang waren die Frauen der Insel auf sich allein gestellt während die Männer als Schiffsführer, Fischer, Navigatoren und Kartographen manchmal über Jahre auf See unterwegs waren. Sie hatten die praktische Oberhoheit zuhause. In den kleinen Familienverbänden ebenso wie auf den großen posesiones, den großen Landgütern, die nicht selten 40 bis 50 arbeitende Personen um den Mittagstisch versammelten. Und sie wußten die Angelegenheiten der Besitzungen bezüglich Produktivität und Vermarktung geschickt zu regeln. Auch heute noch gehen die Liegenschaften alter Familien auf dem Land häufig in weibliche Hand über. Und das nicht nur, wenn kein männlicher Nachfolger bereit steht.

foto: gerd altmann pixabay

…im Kleinen wie im Großen

Die Vereinigung der noch in Privatbesitz befindlichen Gutshöfe, die bisher nicht zu Hotels umgewandelt wurden, bietet unter dem lable „Itinerem, Ruta Cultural de las Possessións de Mallorca“ geführte Besuche auf historischen Landsitzen an, die einen erlebenswerten Einblick in früheres und heutiges Wirtschaften auf dem Lande geben. Und damit in die bestehenden Strukturen und ihren Wandel, familiär und gesellschaftlich.

Der Anteil der Architektinnen, die aktuell (Stand Mai 2019) in der Architektenkammer der Balearen insgesamt in Palma organisiert sind, beträgt 26,6% , wobei dies nur die selbständig arbeitenden auflistet. Mit den in Arbeitsgemeinschaften arbeitenden Architektinnen und den angestellten Mitarbeiterinnen, die nicht in der Kammer eingetragen sein müssen und daher hier nicht berücksichtigt sind, stellen sie sicher einen wesentlich größeren Anteil. Bei den Fortbildungsveranstaltungen der Kammer jedenfalls erscheint rein optisch das Geschlechterverhältnis meist relativ ausgeglichen.

Eine Frage der Zeit

Auch im politischen Leben zeigt sich die Stärke der Frauen. In vielen Gemeinden gibt es einen weiblichen alcalde, eine Bürgermeisterin, und den Ministerpräsidentenposten der Balearen hat mit Francina Armengol derzeit wieder einmal eine Frau inne. Darüber hinaus stellen sich in manchen Gemeinden in diesem Jahr erstmalig, oder wie im Falle der deutschen Sozialistin Susanna Moll zum wiederholten Male, im Herbst Ausländerinnen zur Wahl in den Stadtrat.

Es wird nur eine Frage der Zeit sein, dass sich die mallorquinische Gesellschaft auch in diesem Bereich umbaut. Die junge Generation, die hier heranwächst, ist tatsächlich bereits sehr durchmischt, hat eine internationale Herkunftsstruktur. Auch dies wird die Position der Frau in der Gesellschaft, im beruflichen und im politischen Leben weiter stärken.

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Weiterführende Informationen:

Bauen auf Mallorca https://relaunch.ahabaustift.com/denkt-ueber-den-mallorquinischen-stil/

Vereinigung der Landgüter https://fundacion-itinerem.org/

Alle Fotos, sofern nicht anders bezeichnet ©A.Hermichen