Ein Spaziergang zu den Veränderungen durch Kunst und Architektur an Palmas Meerseite
Die Stadt Palma de Mallorca gehörte bei ihrer Gründung zum Imperium Romanum und lag direkt am Meer. Kein Park, keine Kaimauer, geschweige denn eine Stadtmauer trennte sie von einander.
Bislang hatte ein Fischerdorf existiert, vermutlich südlich des Bereichs, der heute C/. Unió und Plaça Mercat umfasst und östlich des heutigen Paseo del Borne. Dieser war ein „torrente“, ein direkter Zugang zum Meer, der später im Bereich Borne – C/. Unió – Rambla als Kanal ausgebildet war. 1613, lange nach dem Bau der grossräumigen Stadtbefestigung von 1574, leitete man ihn in den Bereich vor die westliche Stadtmauer um. Dies vor allem aus hygienischen Gründen.
Der Torrente in der Stadt
An Palmas Meerseite bestand als einziger Schutz ein erheblicher Niveau-Unterschied, der heute ablesbar ist durch die Lage von Kathedrale und Hafen. Ca. 1800 wurde auch dieser Bereich mit einer Bastion gesichert, sodass das gesamte Stadtgebiet bis 1873 vollständig befestigt war.
Beginnen wir unseren Spaziergang zu den Veränderungen an Palmas Meerseite am westlichen Ende, dort wo die Av. Antoni Maura auf den Paseo Maritimo trifft. Stellen wir uns vor: um das Jahr 1000 steuert aus Richtung Süden ein Schiff die ursprünglich römische „Medina Mayurka“ an. Seit der Eroberung 903 gehört sie zum Califat Cordoba und wird als arabisch geprägte Stadt weiter ausgebaut.
La Almudaina
Die Begrüssung war schon damals sicher eindrucksvoll. Eine Steilküste, gekrönt vom maurischen Palast der Almudaina, dem „alcazar“, der auch heute noch als Amtsitz des Königs auf der Insel fungiert. Östlich schloss sich die Moschee an, an deren Stelle nach der Wiedereroberung die Kathedrale errichtet wurde.
Umringt war das alles vom kleinteiligen Strassengefüge, das seinen römischen Ursprung nicht verleugnen konnte, jedoch noch heute deutliche Spuren arabischer Stadtgestaltung aufweist.
Hier, an der Stelle, an der wir stehen, südlich des S’Hort del Rei, befand sich die Mündung des „torrente“. Also eines zeitweilig trockenfallenden Wasserlaufs, der das Wasser aus der Tramuntana ins Meer abführte und seeseitig als natürlicher Zugang zur Stadt diente. Dieser strategisch wichtige Platz unterhalb der Almudaina war bereits teilweise befestigt und hier im Bereich westlich des Palastes als Hafen ausgebaut worden. Der lange Transportweg von der Bucht des Porto Pi weiter im Westen konnte dementsprechend vermieden werden.
Sa Drassana
Wir gehen also auf den S’Hort del Rei zu, biegen vor dem Garten dann nach rechts ab und unterqueren die gewaltigen Bögen der im 17. Jahrhundert gebauten Stadtbefestigung. Oder gehen ein paar Schritte weiter und benutzen aus dem vorderen Teil des S’Hort del Rei rechts die Nebentreppe, die uns auf die Mauer führt. Von hier oben aus haben wir einen guten Blick auf diesen Teil des arabischen Stadtpalastes. Vor uns bzw. unter uns liegt das Becken des alten Stadthafens, in dem die mit kostbaren Waren beladenen Schiffe gut bewacht ihre Fracht löschen konnten. Ein gewaltiger Bogen, der aus arabischer Zeit stammende Arc de sa Drassana, erinnert daran.
Auch über die sehr viel später angelegte doppelläufige Treppe – nahe dem grossen flachen Wasserbecken mit der Fontäne – erreichen wir die Krone des zeitlich letzten Bau-Abschnitts der Murallas, deren Bau erst 1873 abgeschlossen war. Von hier aus bekommen wir einen Überblick über den neuen Hafen, die Kathedrale mit den anschliessenden Gebäuden und das Stadtviertel Sa Calatrava.
Richtung Osten
Mit dem Bau der Kathedrale La Seu wurde im 13. Jhdt. begonnen, nachdem die Moschee von den Eroberern unter Jaume I umgehend zur christlichen Kirche umgewidmet worden war. Einflussnahme über die Religion war auch damals ein probates Mittel der Macht.
Einige der Stadtpaläste, die an die Murallas angrenzen, wie der Bischofspalast östlich der Kathedrale, wurden bereits in dieser Zeit begonnen. Andere begüterte Mallorquiner nutzten die Gelegenheit zur Zeit des Baus der Stadtbefestigung Ende des 17. Jhdt., günstig an Material und Baumeister zu kommen. Ca la Torre, in dem sich heute die Architektenkammer von Mallorca befindet, ist ein Beispiel dafür. Der Architekt war in den Bau der Murallas, der Stadtmauer, einbezogen.
…in Ses Voltes
Wir spazieren zunächst Richtung Osten, das Meer zu unserer Rechten, über den modernen asymmetrischen Belag des Bollwerks mit seinen kleinen Wachtürmen und Schiessscharten und die 1. Rampe hinunter in das Innere des Baluarte, des Bollwerks, zum tiefer liegenden Platz Ses Voltes. Dieser Bereich war historisch militärisches Gebiet und bis 1983 besetzt von Magazinen und Werkstätten.
Heute ein meist stiller Ort, lockt er zeitweilig ganz und gar nicht still die Palmesaner der umliegenden Viertel La Seo, Montesión und Sa Calatrava zu unterhaltsamen Aktivitäten.
In den umliegenden Kasematten, nun mit gut gestalteten Türen ausgerüstet, befindet sich das Schiffahrtsmuseum, das über Herstellung und Verwendung der Llaut, des für Mallorca so typischen Fischerbootes erzählt. In der Nachbarschaft sind weitere Ausstellungsräume, eine Bar und die entsprechenden Nebenräume untergebracht, die für vielfältige Freizeitnutzungen notwendig sind.
Uuuund: Action!
Eine Plattform und asymmetrisch angeordnete Bänke formen ein „escenario“, das für Konzerte, Filmvorführungen und Theater benutzt wird. Seitlich gibt es in den Boden eingearbeitete halbmondförmige Vertiefungen, damit auch kleinere Kinder beim Zuschauen dort sitzen und ihre Füsse bequem unterbringen können.
Darüber spannte sich, an Drahtseilen aufgehängt, ein leichter Sonnenschutz, der auch der Verbesserung der Akustik diente. Ein Segel aus rhombischen Elementen in den Farben der Mallorquinischen Handelsmarine Blau und Gelb, das durch einen Sturm 2016 in Fetzen flog. In jüngster Zeit diskutiert man eine Wiederherstellung der Überdachung und Renovierung der gesamten Anlage. Die veranschlagten Kosten von heute ca. 1,2 Mio. € könnten aus den Einnahmen der „Ecotasa“, der sogenannten „Touristensteuer“ finanziert werden; bislang hat sich dafür noch keine Mehrheit im Inselrat gefunden.
Ein Brunnen auf der Mauer?
Über eine weitere Rampe im Osten des Platzes gelangen wir zurück auf die Mauerkrone und stolpern fast über ein merkwürdiges steinernes Element, das in schrägem Winkel aus dem Boden ragt.
Die Form erinnert an die in Spanien übliche Form des Biretts. Auch an antike Bauelemente, einem Brunnen nicht unähnlich. Jedem Touristen stehen förmlich die Fragezeichen auf der Stirn… Wir stehen vor dem ersten Element, das das Architekten-Duo Elias Torres/José Antonio Martínez Lapeña aus Barcelona in seinen Entwurf zum Wettbewerb von 1983 für die Umgestaltung des Paseo de Dalt Murada eingebracht hat.
Spannende Fragmentierung
Gefragt war eine Renovierung und Modernisierung des gesamten Abschnittes der südlichen, meerseitigen Stadtbefestigung vom S’hort del Rei bis zum letzten Bollwerk Baluard des Princeps im Osten der Altstadt (Avenidas). Vorgeschlagen haben sie eine fragmentarische Lösung, die auf die Historie dieses Ortes ebenso Rücksicht nimmt wie auf den endgültigen Nutzen.
Die Umgestaltung ist bis zum heutigen Tag, Mitte Juli 2023, noch nicht vollständig abgeschlossen, wie wir später noch sehen werden.
Wir nehmen unseren Weg wiederum östlich über eine weitere Rampe an der Ca la Torre vorbei hinunter zur Plaça de la Portella. Die südliche Mauer von Ca la Torre fällt dabei durch ihre moderne Gestaltung der Lichtöffnungen im Untergeschoss auf. Dahinter befindet sich der durch Kreuzgewölbe überspannte Vortragssaal der Architektenkammer, die erst in den 1980er Jahren nach einer aufwendigen Renovierung hier einzog.
Der Stadtpalast datiert aus dem Ende des 17. Jhdt. Das oberste Geschoss war bis zur Renovierung, wie in solchen Gebäuden üblich, eine offene, frei durchlüftete Halle (porche). Sie diente für Lagerung von Getreide und anderen Feldfrüchten, die aus den Landgütern des Besitzers ausserhalb der Stadt angeliefert wurden.
Auf dem Platz nach links abbiegend gelangen wir in die Gasse C/. de la Portella, und betreten sofort linker Hand durch ein grosses Tor den Hof des Ca la Torre.
Ungewöhnliche Anlage
Bemerkenswert ist die Art dieser Anlage. Ganz entgegen der üblichen Bauweise finden wir hier einen äusseren Hof, Teile der Stadtmauern bilden seine Begrenzung. Die geschwungene Treppe führt direkt aus dem Porche in das Planta Noble mit seinen sich aneinanderreihenden Sälen „enfilade“ mit hohen Fenstertüren. Zum täglichen Gebrauch dient der kleine Eingang links, hinter dem sich der Empfang und die Büros der Kammer befinden.
An Werktagen kann man die gelegentlichen Ausstellungen und die öffentlich zugängliche Bibliothek im 1. Obergeschoss besuchen (9 bis 15 Uhr, geschlossen 1. Hälfte August).
Versteckte Handelswege
Zurück auf der Plaza de la Portella verlockt ein von einem Bogen gekröntes Tor, uns hinaus in den Parc de la Mar zu begeben. Achten Sie hier auf den Wechsel der Bodenbeläge auf Platz und Strassen und die Durchfahrtsperre in Form einer Chumbo-Feige!
Draussen, unter den hohen Palmen, die den alten Belag aus grobem Marés unterbrechen, wenden wir uns nach rechts, wo wir bald ein weiteres Tor in der Mauer entdecken.
Anders als bei anderen Stadttoren weist dieses durch ein Tympanon mit Wappenfeld auf eine besondere Bedeutung hin. Hier befindet sich der Ausgang eines Eisenbahntunnels (rechts, heute durch Marés-“Gewebe“ verschlossen), der an der Plaza España, also in der Nähe des Bahnhofs begann. Waren, die dort ankamen, konnten auf diese Weise sofort weiter bis zum Hafen transportiert werden und umgekehrt.
Wiederentdeckt wurde dieser Tunnel beim Bau des Parkhauses unter der Plaça Mayor. Er wurde während des Bürgerkrieges auch als Bunker genutzt und erhielt weitere, labyrinthartige Zugänge aus dem Altstadtbereich zwischen C/. San Miguel und C/. Sindicato.
Gleisspuren
Teile der alten, weiterführenden Gleise ausserhalb der Stadtmauer sind noch im Bereich des Moll de la Riba im heutigen Fischereihafens zu sehen.
Schauen wir der Länge nach durch den neuen Tunnel links, stellen wir seine barocke Form fest. Ein weiteres neues Element, das Elias Torres hier eingefügt hat und das den Tunnel optisch verkürzt. In der Mitte gelangen wir dann zur Auflösung des Rätsels um den auf der Mauerkrone entdeckten „Brunneschacht“: eine Lichtöffnung in der Mitte in Form eines bischöflichen Birrets. Das Hinaufschauen lohnt.
Am Ende des Tunnels haben wir somit einen weiteren Zugang zu Ses Voltes vom Parc de la Mar aus gefunden. Und können nun rechts über eine Treppe aus altem Sandstein und Beton wieder die Promenade der Murallas erreichen. Sie besteht aus Abbruch-Material, das bei den Bauarbeiten anfiel, aber nicht zuzuordnen war.
Gehen Sie auf Entdeckungsreise, viele Elemente kommen Ihnen sicher bekannt vor.
Im Steinernen Meer
Wir setzen unseren Spaziergang zu den Veränderungen an Palmas Meerseite Richtung Osten fort. Es geht zunächst am Stadtteil Sa Calatrava vorbei und über die schattige Plaça de Llorenç Villalonga, deren schlichte Randbebauung einen schönen Rahmen für diesen Stadtraum liefert. Hin und wieder fallen uns darüber hinaus Reste der alten Architekturen auf, die geschickt in die jetzt renovierten Gebäude integriert sind. Bis ans Ende der Strasse begegnen uns nun auch neue, einzelne Sitzelemente aus Marés in moderner Form und Anordnung.
Denn hier beginnt ein ganz anderes Szenario.
Innerhalb der alten Mauern des Baluart des Princeps hat das Büro Elias Torres das riesige, bis dahin ungenutzte Areal im zweiten Bauabschnitt in ein „Meer aus Sandstein“ verwandelt. Treppen und Rampen formen mit ihren stürzenden Linien, mit Umgängen und Durchbrüchen ein lebendiges Verwirr-Spiel. Sie nehmen so das konstruktive Thema des Verteidigungswalls auf, scheinen sich wellenartig zu bewegen und bilden vielfältige Zugänge zu den offenen Plattformen darüber. Gut überschaubar ist der gesamte Bereich allerdings von einem erhöhten Platz aus, z.B. der Dachterrasse eines Hotels in der Nähe.
Und die Zukunft…?
Ganz sind die Bauarbeiten (Stand Juli 2023) noch nicht abgeschlossen. Dort, wo vor dem kleinen Park der Plaça de la Porta del Camp bis zum Abriss Anfang des XXI. Jhdts. ein gewaltiger Block von Wohnungen für Militärangehörige stand, fehlt noch die Fertigstellung der Zugänge. Ebenso des Service-Bereichs und des tieferliegenden Abschnitts an den Avenidas. Nach der Insolvenz der Baufirma und den erheblich gestiegenen Kosten (Stand Sommer 2023) ist die Zukunft noch unklar. Die äusserste südöstliche Ecke des ehemaligen Bollwerks wird aber bereits für Veranstaltungen genutzt. Besonders am Abend sind die gut beleuchteten freien Flächen, mit steinernen Bänken möbiliert, ein beliebtes sommerliches Ziel der Anwohner.
Am Ende unseres Spaziergangs zu den Veränderungen durch Kunst und Architektur an Palmas Meerseite angekommen, können wir uns nun entscheiden. Wollen wir den Rückweg aussen herum durch den Parc de la Mar nehmen – wo uns Stadtkunst des 20.Jhdts. begegnet oder wir vielleicht von einer Freiluft-Akrobatik-Klasse überrascht werden? Oder innen durch das stille Sa Calatrava? Hier fallen uns dann sicher noch einige interessante Bauwerke, alte und neue, ins Auge.
Aber das ist ein anderes Kapitel…
Alle Fotos, sofern nicht anders vermerkt, ©Angelika Hermichen
Fotos antiguas de Mallorca: https://www.facebook.com/fotosantiguasdemallorca/: Drahtseilakt zwischen Römerzeit und Neuzeit Der Mallorquinische Stil: https://ahabaustift.com/denkt-ueber-den-mallorquinischen-stil/: Drahtseilakt zwischen Römerzeit und NeuzeitWer bin ich?: https://ahabaustift.com/als-architektin-auf-mallorca/
Liebe Angelika,
sehr beeindruckend deine Beschreibungen, die Aufnahmen , bringst du den Lesern das ” Bekannte” näher…dein fundiertes Wissen , welches uns zu Gute kommt. Noch in Berlin – ebenfalls mit architektonischen Leckerbissen versorgt, könnte man tagelang durch diese Stadt wandeln … anders, aber auch sehr eindrucksvoll. Wünsche dir eine kraftvolle Zeit, Philjoh
Vielen Dank, Philjoh. Wünsche Dir eine gute Zeit im spannenden Berlin!
Liebe Angelika, danke für diesen interessanten und spannenden Stadtrundgang! Die Einflüsse der verschiedenen Epochen erschließen sich sehr gut. Das macht große Lust, es selber zu sehen.
Liebe Grüße aus Wien! Wilhelmine
Liebe Wilhelmine,
vielen Dank für Dein Interesse! Es freut mich, wenn meine Artikel anregen, sich mit einer Stadt (oder einer Gegend) auch architektonisch zu beschäftigen.
Ganz so, wie mich auch Deine Beiträge auf Instagram verlocken, in die jeweilige Gegend zu reisen. Ob nun Wien oder Südtirol – es ist immer ein Genuss, sie zu lesen.
Liebe Grüsse
Angelika
Liebe Angelika,
danke für die wunderschöne Einführung in das alte und neue Leben in diesem Teil von Palma. Es ist eines meiner Lieblingsviertel, was Du beschreibst und es ist schön, ein bisschen tiefer in seine Geschichte einzutauchen!!!!
Liebe Gudrun,
wie wunderbar, dass ich mit diesem Artikel noch ein Körnchen zur Kenntnis über Dein bevorzugtes Viertel habe beitragen können. Vielleicht treffen wir uns mal dort…
Liebe Grüsse
Angelika