Immer noch erledigen wir einen Teil unserer Einkäufe auf traditionellen Märkten, den Wochenmärkten unter freiem Himmel oder in den überdachten, attraktiven alten Markthallen wie in Frankfurt, den „mercados“ in Städten wie Barcelona und Palma mit ihrer besonderen Atmosphäre von alteingesessenem Handel. In klassischen Gebäuden in mittlerweile meist fremder Umgebung. Wo wir zunehmend gewohnt sind, unseren täglichen Bedarf in modernen, gesichtslosen Selbstbedienungsläden zu decken, finden diese Überbleibsel einer anderen Epoche mehr und mehr als Sehenswürdigkeiten Beachtung bei Touristen, die, der Notwendigkeit enthoben, sich mit alltäglichen Nahrungsmitteln zu versorgen, in schlenderndem Schritt aufsaugen, was sich als optisches Souvenir in den Urlaubskoffer packen lässt. Und das wird als Kauferlebnis perfekt bedient. Nostalgie, reine Nostalgie.
Nach amerikanischem Muster versorgen wir uns tagtäglich in grossflächigen Super-Märkten, die Beliebiges vielfältig in standardisierten Regalen feilbieten. Meist noch von Hand bestückt, werden diese, jetzt üblichen Verkaufsmethoden sich bald schon wandeln zur Vollautomatisierung und nur noch digital abgewickelt werden. Vieles kaufen wir bereits online ohne Beratung durch einen realen Menschen, allenfalls orientieren wir uns an Testberichten und Kritiken zum Produkt. Kein Wunder, dass nicht nur die kleineren Einzelhandels-Geschäfte mehr und mehr in eine Sinnkrise stürzen und verzweifelt nach neuen Strategien zur Kundenbindung Ausschau halten.
Wo der Einkauf zum Erlebnis wird
In den 50er Jahren wurde dies in Deutschland erstmals von einer Kaffeerösterei in Bremen konsequent umgesetzt. Und die betrieb zu Beginn noch gar keine eigenen Ladenlokale. Die Lieferung des im Bremer Hafen angelandeten und frisch gerösteten Kaffees, der seit den 20er Jahren durch Eduard und Rudolf Schopf (Edu-Scho) per Post-Direktversand an die Kunden verschickt wurde, konnte bald schon durch eine zusätzliche Bestellung anderer Waren erweitert werden. Welche Spannung, wenn wir Kinder dabei waren, wenn ein dickes Paket aus Bremen ankam, das beim Öffnen einen berauschenden Duft freisetzte. Für uns „Dötzchen“ der Duft der exotischen, weiten Welt. Denn die Frauen der Familie bestellten immer gemeinsam grössere Mengen Kaffee und immer auch ein paar Tafeln Schokolade oder Tee. Das erste cross-selling, das dafür sorgte, dass das Angebot attraktiv war und durch neu hinzugefügte Artikel auch blieb.
Einige Zeit später dann weiteten Tankstellen ihr Angebot naheliegend aus auf Autozubehör, später auch auf Süsswaren und Zeitschriften.
Inzwischen ist das Marketingkonzept des Querverkaufs weit verbreitet. Kaffee wird mittlerweile nicht nur mit Pralinen und Schokolade verkauft, sondern auch mit dekorativem Zubehör fürs Haus, Apotheken versorgen nebenbei mit Brillen und Kosmetik, im Tabakwarenladen wird Wein angeboten. Und beim Lebensmittel-Discounter finden sich als saisonale Angebote auch schon mal Gartengeräte und Weihnachtsdekoration.
Konzept Einkaufszentrum
Daneben wuchsen seit Mitte der 60er Jahre nach amerikanischem Muster grössere Kaufhäuser in den Innenstädten und später am Stadtrand die Einkaufszentren aus dem Boden, in denen Einzelhandelsgeschäfte ihre speziellen Waren in direkter Nähe des Mitbewerbers anbieten. Wettbewerb fördert den Umsatz, die Raum-Zeit-Komponente nützt Käufern und Händlern. Grosse Parkplätze direkt vor der Tür, überdachte Passagen in denen viele verschiedene Geschäfte um Kunden werben, ein breites Angebot ähnlicher Waren auf engem Raum. Der Kunde kann schnell Vergleiche anstellen, die Entscheidung noch bei einem Kaffee überdenken, später ins Kino und zum Essen gehen. Überschaubar das Ganze, unkompliziert und wetterfest.
Und unterhaltsam. Da lassen sich Treffen mit Freundinnen und der Familie ganz zwanglos gestalten und mit dem Nützlichen verbinden. Die Eltern erledigen den Schaufensterbummel und den wöchentlichen Haushalts-Einkauf, während die Kids sich mit Sportbekleidung und Zubehör für Handy und Tablet eindecken.
Variationsbreite auf engem Raum
Durch die Nähe der einzelnen Anbieter verschwindet der Eindruck verschiedener Unternehmer. Wir bewegen uns unter einem Dach, in einem Gebäude. Allenfalls lassen Innenarchitektur und Ladenausstattung Individualität erkennen. Das Warenangebot mäandert zwischen Artverwandtem.
Da erstaunt es nicht, dass ein spanischer Modehersteller seinen Geschäftsbereich auf Heimtextilien ausweitet und einige Zeit später komplette Einrichtungsgeschäfte eröffnet, in denen die Textilien nur noch einen kleineren Raum einnehmen. Dessen flagship store ist seit kurzem in Palma in bester Lage der Innenstadt am Paseo del Borne beheimatet, in einem Gebäude, das 1921 Gaspar Bennazar schuf, ein bekannter und einflussreicher Architekt und verantwortlich für viele bedeutende Projekte auf Mallorca, und das lange Zeit von einer Telefongesellschaft genutzt wurde.
Luxuriöse Umgebung als Motor
Jedoch gab es schon Vorläufer. Nicht in solch prominenter Lage, aber doch nur einen Steinwurf vom Borne entfernt, liess sich 2007 das Rialto Living im ehemaligen Cine Rialto nieder. Ein schwedisches Designer-Paar präsentierte den rustikalen bis grossbürgerlichen Charme der Interior-Fundstücke ihrer ausgedehnten Reisen im ehemaligen, nun zum Showroom umgestalteten Kinosaal.
Sieben Jahre später, als sich die Prachtstrasse Borne in die erste Adresse für exclusives Shopping zu verwandeln begann und auch die umliegenden Gassen vom neu erworbenen Glanz in der Nähe profitierten, erweiterten sie die Verkaufsräume in den benachbarten Palast Ca‘n O‘Ryan aus dem 18. Jahrhundert und hier dann auf zwei Etagen, dem weitläufigen Erdgeschoss und der herrschaftlichen planta noble.
Genuss für Leib und Seele
Hatte der ermüdete Einkaufsbummler zuvor schon im Hintergrund des Interior-Verkaufsraumes einen Kaffee, einen gepflegten Cava oder einen sorgfältig zubereiteten Mittagssnack zu sich nehmen können, so wurde das immer noch überschaubare Café nun in den räumlichen Mittelpunkt gerückt. Das aktuell – ganz im Trend – weiter ausgedehnte Sortiment lagert sich geschmeidig darum herum. In den hervorragend renovierten hohen, von Elementen historischer Baukunst akzentuierten Räumen, die den bevorzugten klassischen Einrichtungsstil des gut situierten (internationalen Neu-) Mallorquiners präsentieren, lassen wir uns nun ebenso zum Kauf eines edlen Designer-Outfits hinreissen oder schwelgen in den Möglichkeiten, die sich bieten, unsere Liebsten mit ausgefallenem Lifestyle-Zubehör zu beglücken.
Das Umherschweifen im Raum regt die Fantasie an, das Unnötige wird zum reinen Genuss. Wir müssen uns nicht mehr mit bestimmten notwendigen Anschaffungen auseinandersetzen, obwohl auch das hier möglich ist. Aber nein, hier überlassen wir uns gern ganz lässig den Eindrücken zu Raum und Angebot, die in uns hineingleiten und Gefühle erzeugen. Gefühle des Wohlbefindens, des Savoir-vivre auf mediterrane Art, unterstützt von geschickter Beleuchtung und gezielt parfümiertem Raumklima.
Da ist sie wieder, die Erinnerung an Kinderträume. Wie es auf den Märkten klingt, wie der Luxus riecht, wie die Erfüllung eines aussergewöhnlichen Wunsches schmeckt. Kaffee mit Schokolade. Und geben wir es doch zu, nichts berührt uns tiefer als die nun endlich erfüllten sehnlichsten Wünsche unserer Kindheit, die daherkommen in Geruch, Geräusch und die sich einpassen in unsere Vorstellung vom perfekten Zustand. Wie immer dieser auch aussehen mag.
Titelfoto: Galleria Vittorio Emanuele, Horst Baltzer über pixabay (https://pixabay.com), Foto 1 La Boqueria: Arman Flint über Pixabay (https://pixabay.com), Foto 2: tariq786 über pixabay, Foto 3 Einkaufszentrum: Bert Kaufmann über piqs (http://piqs.de/fotos/144308.html), Foto 4 Schlafraum: Spacey über Pixabay (https://pixabay.com), Foto 5 und 6: Rialto Living, mit freundlicher Genehmigung durch Rialto Living Palma S.L. Vielen Dank. (https://rialtoliving.com/en/)
Es duftet noch leise aus Deinem verführerischen Text, den ich jetzt so nach einem feinen Mittagessen in Felanitx zum Nachtisch genossen habe. Ein feines Dessert! Vielen Dank und auf bald mal zu einem ausgiebigen Kaffee mit Schokolade… Liebe Grüsse von Lebeleicht
Wie schön, vom Echo in Dir zu erfahren… Danke.
Und freue ich mich auf ein Treffen!
ein feiner artikel … danke dafuer! jfk