Besucher, die das erste Mal nach Mallorca kommen, genießen die südliche Atmosphäre und das Klima, Strand, Meer und die idyllische Landschaft. Und die Insel ist so nah, gefühlt kaum ein paar hundert Kilometer südlich der deutschen Grenzen, im Flug eine Spanne Zeit, wie man sie für eine Zugfahrt von Berlin nach Leipzig einplant. Liegt also gleich vor der Haustür…
Wenn dann der Wunsch geweckt ist, auf der Insel mehr oder weniger dauerhaft zu wohnen, beschäftigt der Besucher sich intensiver mit Land und Leuten, mit Brauchtum und Lebensweise. Und mit der Architektur, die so gefällig dem Wunsch nach einer heilen Welt und idealen Bedingungen entspricht und die mit menschlichen Proportionen und einfachen Materialien Natürlichkeit darstellt, die wir in unserem von Technik bestimmten Leben weitgehend vermissen.
Zur Charakterisierung dieser Bauweise fällt bald das Stichwort „mallorquinischer Stil“. Damit sind gedrungene Bauernhäuser mit dicken Wänden aus Feldsteinen, kleinen Fenstern und flach geneigten Dächern gemeint, deren lockere Verteilung in der freien Landschaft die Phantasie vom einfachen, selbstbestimmten Leben auf dem Lande anregen.
Die Suche nach dem Leitbild
So idyllisch die alten Steinhäuser auch anmuten, leben möchte man dann doch lieber mit modernem Komfort. Und spätestens wenn ein Architekt für den zu erstellenden Neubau zu Rate gezogen wird, muss sich der Bauwillige aktiv mit seiner Vorstellung vom traditionellen Wohnen auf Mallorca auseinandersetzen. Leitbilder sind gefragt, die verbal und anhand von eleganten Zeitschriften-Ausrissen den gewünschten „mallorquinischen Stil“ belegen sollen, damit der Architekt ein Gespür dafür bekommt, wie der Bauherr sich sein Traumhaus vorstellt.
Oft ist diese Phase schnell überstanden, gibt es doch reichlich Beispiele dieses vorgeblichen Stils, die in der Gegend herumstehen. Auch dämmern in den Schubladen so manches Architekten entsprechende baufertige Pläne vor sich hin und warten auf einen willigen Bauherren. Viele Objekte werden auch gleich im Internet mit den einschlägigen Vokabeln und in den diversen Stadien der Fertigstellung zum Kauf angeboten. Daß dabei manches vor hundert Jahren notwendige konstruktive Detail als bloßes Zitat und in meist fragwürdigem Zusammenhang dem Entwurf im wahrsten Sinne angeklebt wird, ist mit einem überzeugten Bauherrn oft schwer zu diskutieren.
Denn es gibt nur wenige Architekten, die bereit sind, mit ihrem Bauherrn in einen – manchmal riskanten – sehr persönlichen Prozeß der Klärung einzusteigen unter der Fragestellung: was ist eigentlich „mallorquinischer Stil“? Wie drückt er sich aus?
Was ist mallorquinischer Stil?
Die Beantwortung der Frage fällt umso schwerer, als es diesen Stil nicht gibt. Das, was so vordergründig zur Definition herangezogen wird, ist eine Mischung aus der traditionellen, überall in Mittelmeerländern verwendeten Bauweise und Beifügungen aus anderen Kulturen, die von späteren Einwanderern in den Bauprozeß eingebracht wurden. Durch die Baumeister und Auftraggeber voriger Jahrhunderte bis in die heutige Zeit hinein sollten sie der individuellen Interpretation von Schönheit und Brauchbarkeit Ausdruck verleihen und gleichzeitig meist auch Notwendigkeiten der Konstruktion selbst bedienen.
Das lässt sich gut ablesen: der einst schlichte, rechteckige Baukörper mit flachem Pultdach, wie er rund um das Mittelmeer seit Jahrhunderten häufig anzutreffen ist, war der Ursprung und wurde bei Bedarf um einen weiteren, identischen Baukörper symmetrisch an der Rückseite erweitert, später auch aufgestockt. In die Hauskanten brachte man zur Stabilisierung größere Ecksteine ein, die Fensteröffnungen erhielten steinerne Umrandungen. Die vorgelagerte Freifläche, über der früher allenfalls das Laub einer parra, eines Weinstocks, Schatten spendete, wurde nun mit Säulen und festen Dächern zum porche erweitert. Dies alles in der Absicht, das Leben sicherer und angenehmer zu gestalten. Und wo diese Eingriffe sich in der althergebrachten Weise an vorhandenen Gebäuden vollzogen, die sich so auf natürliche Weise veränderten, erscheinen sie auch heute noch stimmig und unverwechselbar.
Veränderung im zeitlichen Zusammenhang
Erst die Überformungen durch Bauelemente anderer Stilepochen brachten das ursprüngliche Gleichgewicht aus der Balance. Renaissance-Portale und -Fensterelemente in gotischen Stadthäusern in Palma, barocke Balustraden an Terrassen und Balkonen der herrschaftlichen posesiones auf dem Land dokumentieren den Wandel der Baustile, der auch auf bestehende Gebäude übergreift, begründeten gleichzeitig einen Eklektizismus, der heute als Argument herhalten muss für ungebremste Verwendung historisierender Bauelemente.
So mancher Bauherr, im Bewusstsein seiner finanziellen Möglichkeiten und ästhetischen Ansprüche, mag sich nicht gern vom Fachmann an die Hand nehmen lassen, schließlich ist er von Geburt an, also meist schon viele Jahrzehnte mit „Wohnen“ vertraut und weiß, was er braucht. Vor allem aber, was er möchte. Und das sieht er ja auf der Insel herumstehen und kann es benennen. Rustikal soll es sein, dabei heimelig wirken, das Gemüt ansprechen und Geborgenheit vermitteln.
Dicke Wände sollte das Haus haben? Steinverkleidung? Ja, aber möglichst dünn, damit sie nicht auf Kosten der Wohnfläche gehen. Eine überdachte Terrasse, die die Hälfte des Erdgeschoßes einnimmt, damit Wohnen ganz ungezwungen zu jeder Zeit auch draußen stattfinden kann; die Fenster und Türen so groß wie möglich wegen des wunderbaren Lichts, das ja der Grund für das Hiersein ist. Lamellenklappläden aus Aluminium wegen der einfachen Pflege und vor dem Eingang ein Porticus mit klassischen Säulen, Balustraden um die Terrassen. Und auch einen Turm bitte oder wenigstens ein Türmchen. All das hat er doch hier und da gesehen und das hat ihm gefallen.
Bedeutung eines Gebäudes in seinem Umfeld
Der Architekt nickt. Er kann es sich lebhaft vorstellen. Und zeichnet einen Entwurf oder baut vielleicht sogar ein kleines Modell, das all dies unter zwei bis drei Dächer bringt. Bei der Präsentation zuckt der Bauherr im günstigen Fall zusammen. So hatte er sich das nicht vorgestellt, so Disney-Land-artig. Der Begriff „Kitsch“ drängt sich ihm auf. Und gelegentlich ist er nun bereit, ernsthaft darüber nachzudenken, was ein Haus in der Landschaft Mallorcas tatsächlich sein kann. Für die Bewohner, deren Nachkommen oder -käufer, die alle darin und damit leben werden, für die Nachbarn, die Gemeinde, die Insel insgesamt.
Zu hoch gegriffen? Sicher nicht.
Ein Gebäude ist kein Verbrauchsartikel wie ein Kleid, mit dem wir heute kundtun, wie wir uns heute fühlen, wie wir heute sind. Das in der nächsten Saison unmodern geworden ist und entsorgt wird.
Mit den Materialien, die wir bei einem Neubau verwenden, bauen wir heute für die nächsten hundert Jahre und mehr. Wir nehmen also auf lange Zeit Einfluß auf die Gestaltung der Region, der Landschaft und ihrer Dörfer. Mallorcas alte Häuser existieren oft seit Jahrhunderten und besitzen immer noch ihre besonderen Qualitäten und ihren unverwechselbaren Charme. Ist das nicht wert, über die wirklichen Ansprüche an ein regional verwurzeltes Haus der heutigen Zeit und das eigene Wohnbedürfnis intensiver nachzudenken?
Fotograf, sofern nicht genannt: Angelika Hermichen
Interessante Seite – Gratulation!
Liebe Grüße aus Frankfurt
Uli
AHA ,
diese Definitionen des Mallorquinischen Stil`s empfinde auch ich als sehr treffende und
authentisch-zeitgemäße Interpretation. Für mich trifft diese Darstellung total und stellt
den möglichen Zeitgeist dafür dar. Danke.
Saludos
HaJo Ehmcke
Ja, liebe Angelika, darüber sollten die zukünftigen Bauherren und Baufrauen wirklich nachdenken und vielleicht gelingt es ja auch dann und wann, ein neues Gespür zu entwickeln in dem der eigene Wunsch mit der Umgebung eine fruchtbare Verbidnung eingeht und sich beide hervorragend ergänzen.
Wieder ein schöner Einblick in Deine vielfältigen Gedanken! Danke Dir dafür …
Lieben Gruß in Dein Wochenende
Lebeleicht!
Vielen Dank, liebe Lebeleicht, für Deinen Kommentar. Es stimmt, die Erfahrung zeigt, dass mit Geduld, fundierter Beratung und Einfühlungsvermögen der Grenzgang zwischen Wunsch und Machbarkeit für Architekt und Bauherrschaft gemeinsam gelingen kann. Auf gute Zeiten also für das Bauen auf Mallorca!
Auch Dir lieben Gruss und eine feines Wochenende!
Angelika